
Reimform: stabreim
Als St. bezeichnet man nach dem Vorbild des altnordischen Dichters Snorri Sturluson die für den Vers konstitutive Alliteration in der germanischen Versdichtung. Seine lyrische Verwendung ist im wesentlichen durch die sog. Merseburger Zaubersprüche (entstanden vor 750) belegt. Die Alliteration dient im stabreimenden Langvers, in dem der St. hauptsächlich vorkommt, der zusätzlichen Hervorhebung der Haupttonstellen, d. h. der Verstärkung des dynamischen Wort-, Satz und Sinnakzents, durch die der germanische Langvers seine besondere rhythmische Ausdruckskraft erlangt. Mit dieser Funktion der Alliteration hängt es zusammen, daß hauptsächlich Nomina Träger des St.s sind, daneben Verben, während Formwörter nicht stabfähig waren. Von den beiden Teilen des Langverses hat der Anvers einen oder zwei Stäbe (aa, ax oder xa), der Abvers nur einen, der die erste Hebung markiert und als Hauptstab gilt, von dem aus die anderen Stäbe bestimmt werden können. Daraus ergibt sich (bei drei Stäben) folgendes Normalschema: aa / ax. Daß auch zwei Stäbe im Abvers gelegentlich Vorkommen, zeigt unser Beispiel. Da im Stabreim Füllungsfreiheit herrscht, kann er von unterschiedlicher Länge sein. Die Senkungen können mit maximal sechs Silben gefüllt sein. Verse mit hoher Silbenzahl nennt man Schwellverse oder auch Steckverse. Indem der St. den natürlichem Sprechrhythmus hervorhebt und steigert, erlangt er einen stark gestischen Charakter. Er ist seinem Wesen nach hochstilisierte, nachdrücklich gesteigerte Prosarede (Kl. v. See). Daß der St. nicht nur ein angehängter Schmuck ist, sondern eine rhythmische Triebkraft, hat schon Heusler betont. Und da die Placierung der Ikten und somit auch der Stäbe innerhalb des Verses nicht festliegt und überdies die Silbenzahl vor der ersten Hebung und zwischen den Hebungen ständig wechselt, ist die rhythmische Kurve der Stabreimverse äußerlich vielgestaltig und in sich bewegt (W. Hoffmann).
2025-05-16