Schöne Jugend
Schon lange hatte sie im schilf gelegen,
und, überall geschmückt mit nagemalen,
hielt sie den mund den spiegelnd hellen strahlen
der frühlingssonne auf dem teich entgegen.
Und als man ihren busen aufzubrechen
begann, entdeckte man in blassen stücken
die speiseröhre, und gleich einem mücken-
schwarm hausten ratten auf den toten flächen.
Sie aßen an den weiten eingeweiden
sich satt und tranken von dem kalten blute:
Die meisten dort verlebten eine gute
und schöne jugend auf den roten heiden.
Doch manche lagen tot schon auf dem blanken
zwerchfell. Die andren warf man nach der reihe
ins wasser. Ihre schrillen hilfeschreie
quiekten hervor, als alle jäh ertranken.
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Gottfried Benn Schöne Jugend
Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach
war die Speiseröhre so löcherig.
Schließlich, in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die anderen lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschen!