Gedanken in meinen vier Wänden

nach Ludwig Rühle, Gedanke in meine vier Wänd'
Es steht ein telefon auf meinem tisch
und auf der nummernscheibe kann ich wählen,
ach, jedermann, der im register steht.
Und wenn er sich am andren ende meldet,
hör ich die stimme, fühl den atem gehn
so deutlich grad, als wenn er bei mir wär…
Wie schön wär’s doch, ihr leute, könnte man,
die nicht mehr da sind, die längst von uns gingen,
wenn uns das herz mit aller macht bedrängt,
ganz einfach durch das wunderding erreichen,
als wären sie, wenn auch verborgen, nah…
Und wenn ich also denke, um mich schau,
seh meine wände vollgestellt mit büchern
vom boden bis so hoch ich reichen kann,
und lese dann die namen auf den rücken,
ob Bibel, Zend Avesta oder Edda,
ob Aristoteles, Homer und Seneca,
ob Goethe, Schiller, Claudius und Hebel,
ob Schopenhauer oder Wilhelm Busch,
da geht mein herz auf wie ein hefekloß.
Ich nehm ein buch und hock mich still ins eckchen
und bin erquickt von dem, der zu mir spricht…
So hab ich alles hier auf engstem raum:
einmal gedreht, und eine menschenstimme,
ein wesen teilt sich mit aus fleisch und blut.
Und leg ich bald den hörer wieder auf
und drängt mich’s dann zu tieferem besinnen:
ein griff ins bücherbrett, ich bin verbunden
mit großen geistern aus vergangner zeit.
Jahrtausende sind mein auf diese art
und wer sichtbare spuren zog im leben
bleibt immer mir wie einer, dessen name
im telefonregister steht, hier gegenwärtig.
Was gilt das laute treiben drauß’ herum
vor solchem glück in meinem heiligtum?!