Argonautika

nach Apollonius von Rhodos, Ἀργοναυτικά

1,409–449

                                             aber Iasōn
rief und betete zu dem Gott seiner Väter, Apollon:
“Höre mich, der du – o Herr – Pagasaí bewohnst und Aisōnis,
die nach dem Vater benannte Stadt, du hast mir versprochen,
als ich das Pytho-Orakel befragt, das Ziel meiner Reise
mir zu zeigen, du selbst bist nämlich Schuld an den Mühen;
führe nun selbst das Schiff mit wohlbehaltnen Gefährten
dorthin und wieder zurück nach Hellas. Dir aber nachher
legen wir soviel herrliche Opfer von Stieren, soviele
wie heimkehrten, auf deinen Altar dafür, andre Geschenke,
endlose, bringe ich dir nach Ortygia, andre nach Pytho;
nun aber komm und nimm, Ferntreffender, unser Geschenk an,
das wir als erstes dir machen – zum Dank dies Schiff zu besteigen,
lasse mich auch – o Herr – mit günstigem Schicksal die Taue
lösen durch deinen Rat, und lasse leicht einen Windhauch
wehen, mit dem wir zur See und guter Witterung fahren.”
Sprach’s, und warf beim Gebet die Kränze. Es gürteten beide
sich, die Stiere zu schlachten: Ankaios und Herakles, machtvoll.
Einer schlug mit der Keule den Stier auf die Mitte des Schädels –
vorn, und er fiel auf der Stelle sogleich zu Boden und lag da;
und Ankaios hieb auf den breiten Nacken des andren
mit seiner Bronze-Axt und kappte die kräftigen Sehnen,
schwankend stürzte auch er hin mit beiden Hörnern zu Boden.
Und die Gefährten schlachteten schnell und zogen das Fell ab,
kappten und trennten das Fleisch und schnitten die Schenkel zum Opfer,
und sie versiegelten alles mit Fett, auf hölzernen Scheiten
brannten sie’s ab. Es spendete Wein der Aisōnide,
unvermischten. Es freute sich, als er die Flamme sah, Idmōn,
überallhin vom Opfer her leuchtend, den Rauch überm Opfer,
wie er in dunklen Spiralen emporstieg: ein glückliches Omen;
klar verkündete er des Leto-Sohnes Gedanken:
“Euch ist göttliches Schicksal und Not, dass ihr auszieht und mit dem
goldenen Vlies heimkehrt, doch indes wird unendliche Mühsal
euch zuteil, da ihr hierhin und dorthin fahrt auf dem Meere;
mir aber ist zu sterben bestimmt fern Asiens Festland
irgendwo, durch den furchtbar-verhassten Entschluss eines Gottes.
So erfuhr ich noch früher durch unheilbringende Zeichen
einst mein Los und verließ meine Heimat, dies Schiff zu besteigen,
dass ich daheim, weil ich mitfuhr, in guter Erinnerung stehe.”
Sprach’s; und die Jünglinge hörten den Götterspruch, freuten sich ihrer
Heimkehr, doch ergriff sie der Schmerz ob Idmōns Todes-Bestimmung.

1,494–515

                                              Und Orpheus
hielt in der linken Hand seine Leier und hob zum Gesang an.
Und er sang, wie die Erde, der Himmel, das Meer sich vermischten
einst miteinander zu einer Gestalt, verderblichen Streites
ward drum bald voneinander erneut ein jedes geschieden;
und wie im Weltall dieselben Zeichen bilden für immer
all die Sterne, die Bahnen des Mondes, die Läufe der Sonne;
und wie die Berge hinauf sich türmten, wie rauschende Flüsse
mit ihren Nymphen, wie all die kriechenden Tiere entstanden.
Und er sang, wie am Anfang Ophíōn und Ozeans Nymphe
Eurynomē geherrscht auf Olympos’ schneeigem Gipfel;
wie er den Posten an die Stärke und Macht des Kronos verloren,
sie an Rhea, sie fielen hinein in des Ozeans Wogen;
beide herrschten indes über selige Götter, Titanen,
während Zeus – noch ein Kind und voll von kindischem Denken –
in der diktäischen Höhle noch weilte, und ihn noch nicht die
erd-gebornen Zyklopen mit Blitz und Donner bewaffnet
und mit dem Wetterleuchten; was alles Zeus ja den Ruhm bringt.
Sang er, und stand mit der Leier im Bann unsterblicher Stimme;
sie aber hielten den Kopf noch geneigt, obwohl er geendet,
alle spitzten die Ohren zugleich und blieben bezaubert
still. So ließ er in ihnen zurück den Zauber des Liedes.

1,536–558

Sie aber – wie wenn Jünglinge für Apollōn in Pythō
oder Ortygia oder an des Ismēnos Gestade
tanzen, um den Altar zum Leierklange gemeinsam
rhythmisch auf den Boden die Füße, die reißenden, stoßen, –
so nun schlugen auch sie unter Orpheus’ Leier die Ruder
auf das wütende Wasser des Meeres, drauf brachen die Wellen;
schäumend spritzte das Meerwasser hier und dorten, das dunkle,
fürchterlich brausend im Eifer der übermächtigen Männer,
flammengleich blitzten die Waffen im Licht der Sonne beim Fahren;
lange und weithin weiß erstrahlte das Kielwasser hinten,
so wie ein Weg, den man sieht, im grünen freien Gelände.
Alle die Götter schauten an diesem Tage vom Himmel
damals nieder zum Schiff, den halbgöttlichen Männern, den besten,
die auf dem Meere fuhren; auf höchsten Höhen die Nymphen
Pēlions spähten hinab und staunten, als sie die Werke
sahen Athēnē Itōnias, als sie die Helden erblickten,
wie sie selbst mit den Händen die Ruder [schlugen und] schwangen;
aber es kam von der Spitze des Bergs in die Nähe des Meeres
Cheirōn, der Phíllyra-Sohn, mit dem grauen Schaum auf den Wogen
netzt’ er die Füße, mit schweren Händen spendet’ er Beifall,
wünschte mit schönen Worten die unbeschadete Heimkehr;
bei ihm stand seine Frau, auf dem Arm den Pēliden Achilleus
tragend, zeigte ihn her zum Gruße dem Vater, dem lieben.

1,640–649

Da nun schickten sie vor aus dem Schiff, die Anführer, ihren
Herold Aithalídēs, den schnellen, ihm eine Botschaft
anzuvertrauen und gaben ihm auch das Szepter des Hermēs,
seines eigenen Vaters, der ihm Alldenken vermachte,
unvergängliches: wenn er dem Acherōn fern ist, umläuft nicht
mehr das Vergessen die Seele in unaussprechlichem Wirbel.
Sondern es ist ihm als Schicksal verhängt, in stetigem Wechsel,
einmal der Unterwelt anzugehören, wann anders im Sonnen-
Licht den lebendigen Männern. – Doch warum soll ich so lange
die Geschichte von Aithalídēs, dem Herold, erzählen?

1,861–909

Ewig von Tag zu Tag andauerte nun die Verzög’rung
dieser Reise. Sie blieben noch lang und warteten dort, wenn
Herakles nicht die Gefährten der Frauen versammelt, zu ihnen
scheltend mit folgenden Worten die Rede hätte gewendet:
“Toren ihr! Hält uns heimisches Blut vom Vaterland ferne?
Oder kamen wir etwa hierher, um Hochzeit zu feiern,
unzufrieden mit heimischen Frauen, gefällt uns stattdessen
besser, auf fetten Gefilden von Lemnos zu leben, zu ernten?
Ruhm wird uns auch nicht zuteil, wenn wir fern verweilen mit fremden
Frauen so lange Zeit, auch wird kein Gott uns das Vlies wohl
geben von selbst, wenn wir nur darum bitten, es zu bekommen.
Gehn wir stattdessen ein jeder zu seinem hin; ihn aber lasst im
Bette der Hypsipylē den ganzen Tag, bis er Lēmnos
einst mit Söhnen bevölkert, so werde ihm weite Berühmtheit.”
Tadelte er die Versammlung; es wagte nun keiner dagegen
ihm in die Augen zu sehen, noch Widerworte zu sprechen,
nein, sie verließen den Platz sogleich, bereiteten eilig,
vor ihre Heimkehr. Doch als sie es merkten, eilten die Frauen
zu ihnen hin; wie wenn Bienen umsummen die Lilien, die schöne,
ausgeströmt aus dem Stock im Fels, umher voller Tau die
Wiese sich freut, und eins nach dem andern die Bienen die süßen
Früchte pflücken im Flug – so strömten also die Frauen
vor und umringten emsig die Männer und jammerten, klagten,
gaben die Hände und Worte zum Gruß einem jeden der Männer,
baten die Seligen, jedem die sichere Heimkehr zu schenken.
So auch betete Hypsipylē, fest hielt sie die Hand des
Aisōniden, der fortging, ihr flossen die Tränen vor Sehnen:
“Geh nun, es mögen die Götter zurück dich und deine Gefährten
sicher geleiten, das goldene Fell dem König zu bringen,
wie du es willst und dein liebes Herz. Es wird diese Insel
und meines Vaters Zepter für dich sein, wenn du zurückkehrst,
und auf dem Heimweg zurück hierher zu kommen dir lieb ist;
leicht auch dürfte es sein ein großes Heer zu versammeln
anderen Städte entstammend. Doch du, du wirst diesen Wunsch nicht
haben noch sehe ich selbst es voraus, dass es so sich ereignet;
denke jedoch – und bist du auch fort und heim schon gekehrt – an
Hypsipylē; und lass uns ein Wort, das ich gerne erfülle,
wenn mir die Götter vergönnen nunmehr, ein Kind zu gebären.”
Drauf antwortete er, der Aisōnide, voll Staunen:
“Hypsipylē, es möge all dies so glücklich geschehen,
göttervergönnt; nur denke von mir doch besser im Herzen,
denn es ist mir genug, in der Heimat wegen Pelias
nur zu leben; bloß mögen die Götter die Mühen mir lösen.
Ist es mir nicht bestimmt, das Hellas-Land zu erreichen,
weit in die Ferne gereist, sollst du einen Sohn mir gebären,
schicke ihn dann nach Iōlkos, erwachsen, in der Pelasgis,
dass er von Sehnsuchts-Schmerz meinen Vater heilt und die Mutter,
wenn er sie lebend noch trifft, dass er weit entfernt von dem Herrscher
in seiner Heimat das eigene Haus ansässig verwalte.”

2,669–671

Als aber noch das unsterbliche Licht nicht, und nicht mehr das Dunkel
herrschte zu sehr, da lief auf die Nacht ein dünnes, ein zartes
Scheinen, das die Erwachenden Morgendämmerung heißen.

2,1011–1014

Dort, wenn Frauen von ihren Männern Kinder gebären,
fallen die Männer selbst in ihre Betten voll Stöhnen,
Köpfe in Wickeln: es kümmern sich gut mit Essen die Frauen
um ihre Männer, denen sie Kindbettwaschungen geben.

2,1015–1029

Nun aber wechselten sie den Berg an den Küsten und Land aus:
wo auf den Bergen die Holzturmbewohner, die Mossyner, leben
in ihren Türmen aus Holz, wonach sie nämlich benannt sind.
Anderes Recht und andere Bräuche gelten bei ihnen:
Was man normalerweise im Offenen tut, auf der Straße,
oder auf Plätzen, – das machen sie alles in ihren vier Wänden:
Was wir im Wohnzimmer tun, vor der Türe machen es jene
mitten auf den Straßen – und niemand hat etwas dagegen.
Schamgefühl ist bei ihnen nicht heimisch, wie fressende Schweine
sind sie im Freien ganz unbeschwert dabei, auf dem Boden,
in aller Öffentlichkeit die Frauen heiß zu besteigen.
Und in dem höchsten der Türme aus Holz sitzt thronend ihr Herrscher,
macht gerechte Gesetze den Untertanen und Städten.
Aber, wenn er ein schlechtes Gesetz, einen Fehler gemacht hat,
sperren sie auf der Stelle ihn weg und lassen ihn hungern.

2,1247–1259

Und schon kamen heran des Kaukasus schroffe Gebirge,
hoch aufragend, daran – an raue, spitzige Felsen –
ist Promētheus mit unauflöslichen Fesseln gebunden,
nährt mit der eigenen Leber den Adler, der täglich zurückkehrt.
Den nun sahen sie ganz weit oben im Westen mit schrillem
Brausen über dem Schiff, den Wolken nah: Aber trotzdem
ließ er die Segel alle erzittern im Schlag seiner Flügel.
Denn er hatte nicht kleine Geiergestalt an dem Himmel,
nein, wie stabile Ruder schlug er die stürmischen Flügel,
lange; und nicht viel später, da hörten sie stöhnende Schreie
von Prometheus, dem einer die Leber herausreißt, der Himmel
bebte von Schreien, bis sie den Adler vom Berge beim Rückflug
sahen, den Rohfleischfresser, der gleiche Strecke zurückstürmt.

3,83–166

Sprach’s. Und es sagt’ überlegt Hera wiederum zu der andren:
“Nicht sind wir hier, weil Gewalt oder helfende Hände wir brauchen,
sondern: gib du deinem Sohn das Folgende ruhig zum Auftrag:
dass er Aietes’ Tochter verzaubere, Iason zu lieben.
Wenn sie nämlich zur Seite ihm steht, wohlwollend, dann wird er,
glaube ich, leicht das goldene Vlies erlangen und kehrt bald
in seine Heimat Iolkos zurück, denn die Tochter ist listreich.”
Sprach sie zu ihr; und Kypris gab beiden die folgende Antwort:
“Hera, Athene, er dürfte wohl euch noch besser gehorchen
als mir selbst. Denn vor euch (obwohl er auch unverschämt sein mag)
hat er ein wenig Respekt in den Blicken. Um mich aber kümmert
er sich nicht, nein, stets reizt er mich voller Verachtung.
Und ich wollte im Zorn, ganz eingenommen von Ohnmacht,
seine dumpf-hallenden Pfeile und seinen Bogen zerbrechen
vor seinen Augen; dies droht’ er mir an, als ich ihn provozierte:
Wenn ich die Hände von ihm, solang er sein Temperament noch
zähme, nicht lasse, dann hätte ich selbst darunter zu leiden.”
Sprach sie, die Göttinnen lächelten und sie sahen einander
an; doch sie wiederum sprach beide an voller Ärger:
“Anderen sind meine Leiden zum Lachen, ich brauche das garnicht
allen mehr zu erzählen; es reicht doch, wenn ich es selbst weiß.
Nun, wenn beiden von euch das so am Herzen liegt, werde
ich es versuchen und werde ihn bitten, er wird mir gehorchen.”
Sprach sie; und Hera berührte die schlanke Hand Aphrodites,
mit einem leichten Lächeln gab sie ihr dieses zur Antwort:
“Nun, das was du mir schuldest, so wie du es sagst, Kythereia,
tu es sogleich; und lass dich nicht reizen und reize zum Streit nicht,
in deiner Wut auf den Sohn; der wird danach sich verändern.”
Sprach sie, verließ ihren Sitz, und von Athene geleitet,
gingen sie beide hinaus und eilten zurück. Aphrodite
stieg in die Täler hinab des Olymps, ob sie dort ihn entdecke.
Und sie fand fernab, im blühenden Garten des Zeus, ihn,
nicht allein, sondern mit Ganymedes, den sich ja Zeus einst
in den Himmel mitnahm, als Herdgenossen der Götter,
weil er die Schönheit begehrt. Mit Würfeln spielten die beiden,
goldnen, zusammen ein Spiel, wie vertraute Knaben gewohnt sind.
Und schon ganz mit Würfeln gefüllt war die Fläche der linken
Hand, die Eros der gierige, siegreich unter der Brust hielt,
aufrecht stehend und um die Haut seiner Wangen erblühte
süße Röte; der andere aber saß hockend daneben,
schweigend bestürzt, mit zwei Würfeln spielte er, eins nach dem andern
warf er und zürnte dem Jungen, der seine Siege bejubelt,
und als er die noch verlor, sogleich, nach den vorigen beiden,
ging er mit leeren Händen und hilflos fort und er sah nicht
Kypris, wie sie genaht; sie stellte sich auf gegenüber
ihres Sohnes und hielt ihm den Kiefer und redet’ ihn an mit:
“Warum lächelst du denn deshalb, du unsägliches Scheusal?
Hast du den Armen einfach betrogen und spieltest mit Recht nicht?
Wenn, dann komm her und begleich deine Schuld und tu, was ich sage,
und ich gebe dir dann das schönste Spielzeug, das Zeus hat,
jenes, das ihm die liebe Amme Adrēsteia baute,
als er noch klein war, ein Säugling, versteckt in der Höhle auf Ida:
einen schnelllaufenden Ball, kein anderes wirst du Hephaistos’
Händen entnehmen, das lieblicher ist und besser als dieses.
Golden sind seine Kreise gemacht, und es zieht sich um jeden
eine doppelte und rundum gewickelte Schleife;
unsichtbar sind die Nähte und eine dunkle Spirale
läuft um den Ball, aber wenn du ihn wirfst mit den eigenen Händen,
zieht er, so wie ein Stern, eine brennende Spur durch die Lüfte.
Den nun gebe ich dir, und du sollst die Tochter Aietes’
mit deinen Pfeilen verzaubern zu Iason hin; doch soll es keinen
Aufschub geben, denn dann wird meine Gabe geringer.”
Sagte sie; als er das hörte, war ihm die Rede willkommen,
warf alle Spielsachen fort, und hielt am Gewand beidhändig
hier und dort unaufhörlich die Göttin ringsum umklammert,
bat, ihn sofort zu beschenken, sofort. Sie aber bat ihn mit milden
Worten und zog ihn heran und hielt seine Wangen und küsste
sie und gab ihm dabei das folgende lächelnd zur Antwort:
“Nun bezeuge dein eigener Kopf und mein eigener dieses.
Sicher werde ich dir das Geschenk übergeben, ich schwöre,
wenn dein Geschoss an Aietes’ kleine Tochter du heftest.”
Sprach sie, er aber sammelte auf seine Würfel und zählte,
warf sie hinein in den strahlenden Schoß seiner eigenen Mutter.
Gleich nun warf er sich um den goldenen Köcher mit Pfeilen,
an einen Stamm gelehnt, und nahm hoch den krummen Bogen;
ging aus dem großen Garten des Zeus, der jegliche Frucht trug,
dann durchschritt er die luftigen Pforten des Berges Olympos,
dort beginnt ein himmlischer Weg, der hinabführt. Es halten
da zwei Pole die Spitzen empor von ragenden Bergen,
das sind die Gipfel der Erde, an denen hoch in den Lüften
mit ihren den ersten Strahlen am Morgen die Sonne errötet.
Unten die lebenspendende Erde, die Städte der Menschen
glänzten, die heiligen Läufe der Flüsse, in anderer Richtung
Gipfel, umher das Meer, für den der hoch in der Luft ging.

3,616–644

In ihrem Leid betäubt’ ein tiefer Schlaf
die Tochter, auf ihr Bett hinabgelegt.
Doch Träume, trügend – was sie trauernd traf –
verderblich, hatten ihr das Blut erregt:
Dass, nicht weil er das goldne Vlies begehrt,
der Fremde diesen Auftrag annahm, – bei
Aiētēs war er drum nicht eingekehrt –,
nein, dass Medea seine Gattin sei,
mit ihm nach Hause kehre. – Unterm Joch,
vermeinte sie im Traum, mit Leichtigkeit
die Rinder selbst zu bändigen. Und doch
brachen die eignen Eltern ihren Eid:
Nicht sollte ja das Mädchen, sondern er
die Rinder bändigen. Ein Streit entstand
beim Vater und dem Argonautenheer.
Man gab ihr die Entscheidung in die Hand:
Es sollte sein, wie sie es wünscht. Und sie,
der Eltern ungeachtet, wählt’ alsbald
den Fremden sich. Als Mutter schmerzlich schrie
und Vater zürnend, war der Schlaf verhallt.
Zitternd schnellte sie auf vor Furcht, um die Schlafzimmerwände
blickte sie panisch umher; nur schwerlich zähmte, wie vorher,
sie ihr Herz in der Brust; mit lauter Stimme nun sprach sie:
“Wehe mir Armer, wie sehr mich schwere Träume geängstigt!
Großes Unheil wird – ich fürchte – die Reise der Helden
bringen. Es flattern umher um den Fremden mir alle Gedanken.
Soll er doch, fern und daheim, ein achäisches Mädchen umwerben;
ich bemühe mich dann – Jungfrau – um das Haus meiner Eltern.
Dennoch werd’ ich mein Herz von der Scham befreien und meine
eigene Schwester befragen, direkt, ob sie mich in dem Kampfe
aushelfen lässt, weil sie fürchtet um ihre eigenen Kinder.
Dies nun würde dem traurigen Herzen stillen die Schmerzen.”

3,648–655

Lange blieb sie daselbst im Flur vor ihren Gemächern,
eingeschlossen von Scham; und sie wandte wieder sich rückwärts
um und ging wieder von drinnen hinaus, wich wieder nach innen
aus; ihre nutzlosen Füße versetzten sie hierhin und dorthin;
immer wenn sie sich fasste, da hielt sie von innen die Scham fest;
eingeschlossen von Scham trieb sie ein starkes Begehren.
Dreimal versuchte sie es, hielt dreimal an, und beim vierten
fiel sie vornüber hinab auf ihr Bett und wand sich und weinte.

3,744–750

Dann aber führte die Nacht übers Land ihr Dunkel; auf See die
Schiffer schauten zum drehenden Bären, den Sternen Orions
von ihren Schiffen hinauf, nach Schlaf verlangte den Wandrer
schon und den Torwächter auch; eine Mutter hüllte der dichte
Tiefschlaf ein (es sind ihr alle Kinder gestorben);
nicht mehr war Hundegebell in der Stadt; kein einziges Hallen
gab es von Lauten, da Schweigen geschwärzte Dunkelheit festhielt.

3,755–765

Es raſet’ ir ſo wildt das herꜩe in der bruſt.
Wie irgend Sonnen liecht vmbher in Heuſern bliꜩt /
das aus dem Waſſer kömpt / das in eym Keſsel ſiꜩt
oder im Kübel wogt / das dorthin vnd auch hier
schißt / flattert / wirbelt schnell mit flackendem Gewirr.
So zitert’ in der bruſt das herꜩe auch der maid
Vnd aus den augen goß ſie zährenvoll ir Leid.
Darinnen rieb ſie gram / durch ire Haut geſchwelt /
vmb Sehnen vnheilvoll / der ir Genick gequält /
dort ſinckt die ſtärckſte Pein / wann imer eynen Schmerꜩ
Eroten / nimmermüd / einpflanꜩen in eym herꜩ.

4,445–447

Schrecklicher Erōs, du Unheil, du großes, Betrübnis der Menschen,
von dir stammt der verderbliche Zwist und das Stöhnen und Klagen,
und die anderen Schmerzen, an denen sie leiden unendlich.

4,477–481

Und der Aisōn-Sohn, der Held, schnitt Stücke vom Toten,
leckte den Mord ab und spuckte die Sünd’ dreimal mit dem Mund aus;
dies ist der Ritus, mit dem die Meuchelmörder sich sühnen.
In der Erde verscharrt’ er die blutige Leiche, noch heute
liegen die Knochen dort beim apsyrteuischen Volke.

4,1243b–1254a

        – es stieß sie bald aufs innerste Ufer,
unter dem Kiel verblieb nur äußerst wenig vom Wasser,
sie aber sprangen vom Schiff, sie sahen (und Kummer ergriff sie)
Luft und große Rücken der Erde, die glichen den Lüften,
weithin reichend und ununterbrochen; man sah keine Wasser-
Stelle und keinen Pfad, es schien in der Ferne kein Bauern-
Haus; und in ruhiger Windstille hielt nur inne das Welt-All.
Einer sprach nun den anderen an, beunruhigt, fragte:
Was ist das für ein Land? Wo haben bloß uns die Winde
hingestoßen? Doch lass uns ertragen, von elenden Ängsten
unberührt, diese Pfade aus Fels durchweg bis zum Ende
durchzuziehen.