Der rasende Herakles

Parodos

Zum Greisen-Lager hin, zu Hallen hochbedacht,
ward ich gesandt, den Stab zur Krücke mir gemacht,
ich Trauerliedermann, ein weißer, alter Schwan,
nur Wort und Nacht-Phantom, sichtbar in Traum und Wahn,
voll Zittern und voll Mut. O Kinder, Kinder ihr,
du Greis, du Mutter klagst: Dein Mann weilt nicht mehr hier.
Erlahme nicht der Fuß, nicht eure Glieder schwer,
wie wenn ein junges Pferd zur Felsenspitze her
die Last des Wagens zieht. Greif Hände, greif Gewand,
wes Fuß den Weg verfehlt, unsicher; halt die Hand
des Greisen neben dir, wie als ihr, mit dem Speer
gestritten, jung an jung zu eurer Heimat Ehr.
Wie ihrer Augen-Strahlen Schlangenglut
  – seht her – dem Vater-Auge gleicht,
wie auf den Kindern auch das Unheil ruht,
  wie nicht des Vaters Anmut weicht.
O Hellas, welche Krieger fehlen dir,
wenn seine Kinder weilen nicht mehr hier.

1. Stasimon

Zur Klage treibt das Plektron nach dem Tanz
über die Leier-Saiten Gott Apoll.
Ins Dunkle ging das Kind des Zeus. Ich soll
ihn singen, seiner Taten letzten Kranz.
Ein Denkmal dem Gestorbenen, dem Sohn
– unter der Erde – von Amphitryōn.
Zuerst hat er des Göttervaters Hain
befreit vom Löwen: auf den Schultern sein
rotgelbes Haupt als Siegeszeichen und
daran des wilden Tieres Schreckens-Schlund.
Das wilde Bergvolk, den Kentauren-Stamm,
hat er mit Todes-Pfeilen dann bestreut.
Die Tat bezeugen Berg’ und Hütten heut:
Peneios, Pelion, die Siedlung am
Homolē-Berg, wo – Fichten in der Hand –
sie fielen ein in der Thessaler Land.
Er hat die Hindin mit dem Horn von Gold
und buntem Fell, die wilde Plünderin,
erschlagen und der Jäger-Göttin in
Oinoē, Artemis, Tribut gezollt.
Auf seinem Viergespann nahm er in Zaum,
die Diomedes-Pferde, froh von Blut
und Menschenfleisch, die ungezähmte Brut,
schlimm-speisend; und er querte auch den Saum
des Hebros, der dort fließt am Silberberg.
Mykenes König gilt ein jedes Werk.
Bei Melias, an des Anauros Quell,
hat er den Kyknos mit Geschossen schnell
getötet, aller Reisenden Gefahr
und Mörder, der in Amphanaia war.
Er kam zu den am Hof des Hesperos
singenden Mädchen, um mit seiner Hand
das Apfelgold zu pflücken. Das umwand
ein Drache, rötlich, den er dort erschoss.
Er tauchte auch zu Meeres-Grund und -Riff,
schuf leichten Seegang jedem Menschenschiff.
Den Himmel hat er mit der Hand gefasst,
wo Atlas stand, gestemmt den Stern-Palast
der Götter. Und er hielt das Firmament
vom Boden nur mit seiner Kraft getrennt.
Und zu der Amazonen Reiterheer
kam er mit vieler Griechen Freundes-Schar,
– das Ziel der Arestochter Gürtel war –,
über das ungastliche Schwarze Meer.
So rettet’ Hellas dies Barbarengut,
das ruhmvolle, das in Mykene ruht.
Er hat die vielen Häupter ausgebrannt
des grausen Hydra-Hunds im Lerna-Land.
Er schoss ihn ab mit Pfeilen, die geschwirrt
auch um den Dreileib von Gadeiras Hirt.
Und aller andren Reisen Ehr’ und Glück
durchlief er, und er fuhr ins Tränenhaus
des Hades. Seine Arbeiten sind aus,
die Freunde fort. Er kehrt nicht mehr zurück.
Gottlos und rechtlos harrt nun Charons Boot
der Kinder, die noch hoffen. Du bist tot.
Wär ich noch jung und schwänge meinen Speer
in Kadmos’ Kriegerscharen noch umher,
ich setzte für die Kinder mich zur Wehr,
voran, nun hab’ ich keine Jugend mehr.
Doch ich sehe, sie tragen ihr Totenkleid,
des Herakles Kinder, des Großen von einst,
die Gattin, geliebte, der Vater, der Greis.
Unseliger ich! Und ich kann mich nicht wehren,
die Augen nicht halten,
die alten,
die Quelle der Zähren.