Weise Syrer
Werd ich dankend euch vertreiben?
Ihr verführer
Noch im leben zu verbleiben!
Stefan George

Gesang an den Shawarma-Laden

Fettige klinge, die niemand den balsam verwehrte,
labender laden in reichen aus fadem verrat,
aller gestürzten im abendwind letzter gefährte,
Assur-entsandt, wenn der steigende hunger dir naht:

Welchen von all den arabischen namen soll ich dir geben
bote der brote mit fleisch, mit der sehnsucht gepaart,
osther entrückt aus den vielen früheren leben
drehenden spießes zur ewigen nachtgefild-fahrt?

Syrer, mein syrer, sag, labten dein grill und dein sieder
gäste-kohorten im flug, da sie nachthin entflohn?
Aber shawarma und kibbeh kehren nicht wieder,
wo erkaltete leere sich wiegt auf verlassenem thron.

Was blieb zurück, da falafel und hummus versanken,
trümmerstarr, in der grauen betonflut der stadt?
Steine, wurf eines wüstenwinds, staub auf den blanken
gastlichen fliesen, von wärmenden stunden noch satt.

Sahst du die hüter der küche, für immer entglitten?
Kaum einen monat trägt stadt ihre zögernde spur.
Spieße von lämmern, gewürzte, von messern zerschnitten,
schwanden im rauch, wo die nahrung den flammen entfuhr.

Ehernes mundstück der shisha, wer mag es berühren?
Hähnchenflügel, manaqish, drauf za’tar zerstob?
Wird uns der halbmond nicht mehr zu flügen verführen,
wenn uns erst wärme von dürüm und döner umwob?

Dennoch: was wir erlitten, war klein vor den augen
stürzender götter: Entschwunden das leuchtende schild.
Unsere mägen, die nur zum fernenflug taugen,
schweifen, zerstörte auf immer, im äthergefild.

Wenn mit dem nebel die anderen döner versinken,
hunger uns heimwärts geleitet, weil niemand mehr kam,
sollen noch einmal wir ayran im hinterhof trinken,
strahlend im rötlichen feuer des Ya-Mal-al-Sham .

Syrer, mein syrer, dem untergang einsam geweihter
laber im dämmernden hof, wo das licht dich verriet,
aller gestürzten im abendwind letzter begleiter,
Assur-verbannt, wenn der sinkende hunger dich flieht:

Fliege voraus in den traum über schimmernde stufen,
fern dann Berlin, das einst unser sterbliches trug,
bist du zum grillen bereit, wenn die boten dich rufen,
fettiger klinge zum ewigen nachtgefild-flug.

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Gesang an den Horusfalken

Blutige Schwinge, der Lethe den Balsam verwehrte,
Einsamster Flieger in Reichen aus Rauch und Verrat,
Aller Gestürzten im Abendwind letzter Gefährte,
Sagen-entsandt, wenn die steigende Stunde dir naht:

Welchen von all den vergessenen Namen soll ich dir geben,
Bote des Lichts, meinem Sang, meiner Sehnsucht gepaart,
Traumher entrückt aus den vielen früheren Leben
Rauschenden Fittichs zur ewigen Nachtgefild-Fahrt?

Falke, mein Falke, sag, streifte dein Schattengefieder
Götter-Cohorten im Flug, da sie nachthin entflohn?
Aber Osiris und Isis kehren nicht wieder,
Wo die Uräusschlange sich wiegt auf verlassenem Thron.

Was blieb zurück, da Memphis und Theben versanken,
Trümmerstarr, in der grünen Schlammflut des Nil?
Wurf eines Wüstenwinds, Steine, Staub auf den Pranken
Uralter Sphinx, drauf die Asche von Sodom einst fiel.

Sahst du die Nattern, die seewärts für immer entglitten?
Kaum einen Tag trug der Sand ihre zögernde Spur.
Häupter der Sperber, gekrönte, von Schwertern zerschnitten,
Schwanden im Rauch, wo kein Phoenix den Flammen entfuhr.

Lederne Lippen der Mumien, wer mag sie berühren?
Schmetterlingsflügel, samtenes Wrack, das zerstob?
Wird uns Orion nicht mehr zu Flügen verführen,
Wenn uns erst Mohnduft aus Gräbern und Grüften umwob?

Dennoch: Was wir erlitten, war klein vor den Augen
Stürzender Götter, sterbend auf rostigem Schild.
Unsere Schwingen, die nur zum Sternenflug taugen,
Schweifen, zerstört zwar, noch immer im Äthergefild.

Wenn mit dem Nebel die späten Chimären versinken,
Schwalben uns heimwärts geleiten auf goldener Bahn,
Sollst du noch einmal Nektar und Himmelslicht trinken,
Strahlend im rötlichen Feuer des Aldebaran.

Falke, mein Falke, dem Untergang einsam geweihter
Flieger im dämmernden Reich, wo das Licht uns verriet,
Aller Gestürzten im Abendwind letzter Begleiter,
Sagen-verbannt, wenn die sinkende Stunde dich flieht:

Fliege voraus in den Traum über schimmernde Stufen,
Fern dann dem Himm el, der einst unser Sterbliches trug,
Bist du zum Scheitern bereit, wenn die Boten dich rufen,
Blutigen Fittichs zum ewigen Nachtgefild-Flug.

Rolf Schilling

Al-Andalos   Rolf Schilling
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