Wilhelmshöhe
Aquae Ductus
Einst riss die welt mit blitz- und feuerschlage
entzwei. Ein säulenbogen fiel ins nichts,
schlug in den berg ein flussbett. Und ich trage
darin den brand, erinnerung des lichts.
Dann steig ich auf, bin dampf, bin weiße wolke,
bin regen auf dem fell und auf dem feld,
bin antwort auf gebet bei fremdem volke,
bis deren opferglut empor mich schnellt.
Dann fängt mich kühles blei der alten leitung,
ich schieße durch die städte unsichtbar,
dann, plötzlich, ist der himmel mir begleitung
und eine mauer unter mir. Ich fahr
sonnendurchglüht durch moosige kanäle,
weiß nicht, wohin. Dann nacht und wieder tag.
Dann – sturz vom rand der welt in beckensäle:
Bin in der luft wie blitz- und feuerschlag.
Buddha-Pagode
Buddha ruht in gold und karmesin,
holz-umsäult in roter schatten-hut.
Kreisend scheint die zeit vor ihm zu fliehn:
Buddha ruht.
Über ihm am tor die drachenbrut
wacht und windet sich in gelb und grün.
Weiter fließt im strom die bilderflut.
Welt prallt ab an seinem blick voll glühn,
lächeln tanzt um ihn, kein gran von wut,
wenn, selbst sonne, jenseits aller mühn
Buddha ruht.
Lac
Zwei himmel sinds, zwei wälder, ein übergang,
ein oben und ein unten. Sie klammern sich
in wellen aneinander. Manchmal
trennt sie ein schrei und ein schwimmer, flügelnd.
Dann reißt der grund auf, unten verzerrt die welt
sich, klafft weit auseinander, verliert sich selbst.
Manchmal, von unten, kreise: aufge-
wühlt ist der untere himmel. Oben
zerschneidet keine wolke die welt, doch schwimmt
auch hier ein vogel, stählern, im blau und ritzt
sich ein, verschwindet, keine wogen
schlagend. Dahinter verschließt der see sich.
Löwenburg
Fels, in den himmel gesprengt, zu türmen und zinnen gehauen;
rückwärtsgang in die zeit, die jedes bauwerk zerspielt.
Krater, invers, jede kuppel, das dach ein loch in dem blauen
draußen, löwenbethront, grade ins weltall gezielt.
Burg, die das wiederholt, was aus den jahrhunderten tönte,
späte antwort auf fragen, die niemand gestellt.
Lang am leben gehalten, umwucherte, zackengekrönte,
ahnst du ihn schon, der einstmals deine türme dir fällt?
Ein Erinnern, das ich heilig heiße …Rainer Maria Rilke Träumen
Merkur-Tempel
Spinnennetzdurchwebt die kapitelle,
überwölbt von sprödem himmelblau.
Lang verlassne opferfeuerstelle
toter götter. Lichtblitz in der au.
Manchmal sieht man ihn von andren hügeln,
wie er sich im strahl nach oben schwingt,
wie mit wehenden äonen-flügeln
vorzeitliches preisen widerklingt.
Einsam ist in sonne und gegleiße,
der von weiß und weihe weithin sprüht:
– Ein Erinnern, das ich heilig heiße,
leuchtet mir durchs innerste Gemüt,
so wie Götterbildermarmorweiße
durch geweihter Haine Dämmer glüht.
Vergil-Grab, Wilhelmshöhe
Gemauerte glocke,
vom moose bezwungen,
drin dunkelt der dichter
der römer dahin.
Es wird nun nie wieder
von helden gesungen:
Es tanzen die lichter
des waldes um ihn.
Stein-stupa des nordens
auf moderndem blocke –
gebetsmühlen-lieder
sie dunkel umziehn:
Geflügelten ordens
im gleitenden glaste
des himmels verblasste
choral-melodien.
Halle des Sokrates
Weißhalbrund, halbweiß, agora-
verpflanzt, aus göttermörtel.
Seine säulen: ein antikischer
barcode.
Lies ihn: darin steht die tugend,
Alkibiades’ küsse, wein,
wolken-
wagen und der schwere geschmack
von schierling,
darin stehen kleider und das fragen
der adepten, gesprächs-irrgärten, das
ich-weiß-es-nicht, und über allem
ein lächeln, blass,
weißhalbrund.
Herkules
Kupfer-spitze der höhen, im blau des himmels verschwimmend
senkt er auf wolken hinab tief in die täler den blick.
Weithin-glänzende kompassnadel nach westen, grünflammig glimmend,
sonn-überblendender, man nahm dich auf die erde zurück.
Spitzhacken-schleudrer, olympus-entrückt, auf felsigem throne,
goldäpfel stahl deine hand spielend vom rande der welt.
Turm über dächern: Es dämmerte unter Jupiters Sohne
all mein leben hervor, in seinen schatten gestellt.
Triptychon, Wilhelmshöhe
Eris
Schlangenbelagerte, giftzahndurchstoßene, zweifache zwietracht,taltief wellt sich ihr kleid fliehend und flattert hinab.
Schrecken, gesehen, gesät ins weiß des blickes, der nie lacht:
keiner, der je ihr entrann, keiner, dem je sie vergab.
Pan
Stoß in die flöte: das tal erbebt, dionysischer taumel.Thronend im flimmern des lichts, das seine hörner umspielt,
fern von den göttern verbannt, erschaut er nur schwindend im traum el-
ysiens felder, vom licht nördlicher berge zerwühlt.
Chronos
Schnitter, geflügelt, die sense über den falten der braue,unbereitet zum schwung, stundet er noch seine zeit.
Arm, mit der sanduhr verwachsen: Er ist der zählend-genaue,
der dem kreisen ein heut, gestern und morgen verleiht.
Jussow-Tempel
Leuchtturm, inmitten von säulen gestellt, es schlingt sich akanthusweiß hinter nadelgehölz, stößt sich am marmornen fries.
Sternwartengleich die kuppel; das innere leuchtet im brandfluss
jedes strahls, der einst erdwärts den himmel verließ.