Die Städte im Walde

In großen Wäldern, unter Riesenbäumen,
darunter ewig blaues Dunkel ruht,
dort schlafen Städte in verborgnen Träumen,
den Inseln gleich in grüner Meere Flut.

Das Moos wächst hoch auf ihren Mauerkränzen.
Ihr alter Turm ist schwarzer Rosen Horst
Sie zittern sanft, wenn wild die Zinnen glänzen,
und rot im Abend lodert rings der Forst.

Dann stehen hoch in fliessendem Gewand,
wie Lilien, ihre Fürsten auf den Toren,
Im Wetterschein, wie stiller Kerzen Brand.

Und ihre Harfe dröhnt, im Sturm verloren,
des schwarzer Hauch schon weht von Himmels Rand
und rauscht im dunklen Haar der Sykomoren.

Georg Heym Die Städte im Walde
[…]

2

Darunter ewig blaues dunkel ruht,
wo du es nie vermutet: junge schrift
und sommerhimmel, nachts, und adels-blut
und dunkler stahl, der es im herzen trifft.

So hat das licht sich durch den wald verzweigt.
Unter den zweigen ist sein name: schatten.
Verloren ist die richtung, die es zeigt,
und alle dinge, die einst farben hatten.

Nur wünsche finden fort von hier, wie rauch
durch schlote aus verrußten ofenräumen.
Doch du vertraust dem weg hinauf, dem hauch

nicht mehr: die welt verengt sich von den säumen.
Du glaubst an keine himmel mehr. Doch auch
dort schlafen städte in verborgnen träumen.

[…]

4

Wie lilien, ihre fürsten auf den toren
sind ankunft, hoffnung, die von ferne strahlt.
Mit jedem morgen wird sie neu geboren,
mit jedem abend wird sie übermalt.

Und folgst du, sind die mauern dir umarmung,
die stadt ein schoß, in den du fällst. Da kocht
ein abend dir im kessel und erbarmung
ist deiner dunkelheit ein loher docht.

So trittst du, eh sie schließen, durch die pforten,
und durch die ersten straßen unerkannt
der mitternacht entgegen, noch den worten

in ihrer sprache fremd. Bisher entwand
sich zuflucht dir, allein an diesen orten
im wetterschein wie stiller kerzen brand.

[…]

6

Den inseln gleich, in grüner meere flut
versinken auch die sterne in gewittern.
Und du bist windstoß, schlacke, funke glut,
umhergeworfen in der lüfte zittern.

Die stürme, die den dichten wipfeln nie
entwischen, wüten unten unerkannter.
Du bist ein teil von ihnen nur, und sie
sind schnell und schwarz wie bleigeschoss, wie panther.

Die posten hast du aufgegeben, bis
der sturm sich stemmt an andre, ferne grenzen.
Dann siehst du steine, die der wind entriss,

in gabelungen, schwindlig-still von tänzen.
Die städte tasten sich durch finsternis.
Das moos wächst hoch auf ihren mauerkränzen.

[…]

8

Ihr alter turm ist schwarzer rosen horst
und du bist dorn an seinen rauen mauern.
Kein regen rinnt herab daran. Du dorrst,
verlederst, löst dich auf in traum von schauern.

Dann pflückt dich, schneidet dich ein scharfer wind,
und bindet einen strauß aus dir, den blättern
des letzten jahrs und schwärze – und verspinnt
drin ranken, die an alten türmen klettern.

Wer diese mauern anklagt, übersteigt,
so hallt es aus gemeißelten sentenzen,
findet dahinter nichts als tod. Wer schweigt

und bleibt, dem werden sie zu siegerkränzen.
Nur diesseits sind die bäume dir geneigt.
Sie zittern sanft, wenn wild die zinnen glänzen.

[…]

10

Und rot im abend lodert rings der forst,
die jungen blätter lernen neue farben.
Da kehrt das gold zurück, das du verlorst
bei deinem abstieg dunkelwärts, ins darben

nach etwas, das die hand, die danach greift
nicht schneidet, das nicht schrammen sondern düfte
zurücklässt. – Doch nun ist der tag gereift:
Rot strahlt zurück nach oben in die lüfte.

Der himmel hat all seine schattenbringer
verlegt. Und keine wolke löscht den brand.
Du hebst – es strahlt und blendet dich – dein finger:

Der Midas-wald vergoldet deine hand,
wenn strahlen auf dem baum, wie fallschirmspringer,
dann stehen hoch in fließendem gewand.

[…]

12

Und ihre harfe dröhnt: Im sturm verloren
hast du die dunkelheit, sie folgte nicht
mehr nach, wind hielt sie fest an ihren poren.
Frei und alleine trittst du in das licht.

Auf allem liegt – für dich – der erste morgen.
Und rückwärts siehst du die begleiterspur
des dunkels sturmverwischt und tagverborgen.
Es gibt nur wachsein, wärme, waldpfad, nur

flatternde schatten, die sich nicht mehr trauen,
zu nah zu treten: buntgeschecktes land –
ein pardel, panther, dessen äste-klauen

der tag in weiches tatzen-laub verbannt.
So fiel von seinem thron des sturmes grauen,
des schwarzer weht schon braust von himmels rand.

[…]

14

Und rauscht im dunklen haar der sykomoren
einmal ein leichtes windes-räuspern auf,
dann rattern durch dein herz die donner-loren
schon tiefer über morschen schienenlauf:

In deinem innern sinkst du in des waldes
lichtlose zellen. Dunkel schlägt dich blind.
Dann wirft ins gold, ins feuer dich der fall des
vorhangs aus schwärze. Alle winde sind

ein wiederholen deiner reise. Quer
durch wurzeln, wipfel wirbelt dich dein träumen
und in der mitte zittert überschwer

des letzten kerzenlichts dagegenbäumen.
Du spürst: es wandert wieder irgendwer
in großen wäldern, unter riesenbäumen.


Fast schweigend: 1
Von Abend und August: 2
Die Insel IV: 5