Fast schweigend
Josef WeinheberIch werde dichten, wenn ich nicht mehr dichte.
Ich werde hier sein, wenn ich nicht mehr bin.
Das Um und Auf, der Ablauf der »Geschichte«
vollzieht sich ohne mich, das geht so hin,
ob ich auch nicht dabei bin. Hier zerlebe
ich bloß die Welt in meiner Zeit. Ich kann
die Laute schlagen. Singen. Ich enthebe,
was eifernd da ist, seinem blöden Plan.
Ich war vorüber, eh ich dies verhaßte
Geborenwordensein genossen hab,
im Durchgang freilich weder taub noch blind –
Ich werde nicht mehr sein. Das Angemaßte
geht rasch hinab. Doch Grab ist lang nicht Grab.
Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind.
1
Ich werde dichten, wenn ich nicht mehr dichte.
Und werde schweigen, wenn mein schweigen bricht.
Und alles, wenn ich dir davon berichte,
wirst du erfahren und erfährst du nicht.
Was kannst du fangen und was geht daneben
von meinen würfen? Meine flamme strahlt
durch deinen schirm und streut ihr weißes eben-
maß aus: Doch siehst du, was der schatten malt?
Ein dutzend blicke – einer ist gemeinter,
beredter. Frage: welcher? – und er schweigt.
Und bleibt – und überlebt mich. Und – sieht hin.
Und irgendwann, wenn alles still ist, weint er
und macht dir alles eindeutig und zeigt:
Ich werde hier sein, wenn ich nicht mehr bin.
How ‘came I in’? Was I not thee and Thee?Ezra Pound The Tomb at Akr Çaar
3
Das um und auf, der ablauf der geschichte:
ein kreisel, karussell, ein schäbiges
glücksrad auf überlaufnem jahrmarkt. Richte
dich nicht danach, ja, ein behäbiges
geschick führt dich an deiner hand schon lange
und gibt genau, was es für dich geplant.
Du Ungeduld. Das alles fand schon lange
vor deinem dasein statt. Hast du geahnt:
der große strom kann mich nicht finden. Kann denn
die atemluft dich finden und die nacht?
Ich bin, du bist, wir waren immer drin.
Und sind sein fließen selber. Sag mir, wann denn
soll das begonnen haben? Ungemacht
vollzieht sich’s ohne mich, das geht so hin.
5
Ob ich auch nicht dabei bin, hier zerlebe
ich wochen und erinnere mich kaum:
Was war? Und wenn ich suche, antwort gebe:
Spaziergang, kälte, schlaf, vielleicht auch traum.
Dann war da noch – fast dunkel – lernen, lesen
(so stellt man leere kisten in den schrank
und schaut nicht wieder hin). Das ist gewesen.
Mehr ist es selten. Abendstunden: krank
und kerzenschein und bässe-wellenschlagen.
An meine küsten spülen sie den staub
und legen ihre morschen boote an.
Da kommen keine andern mehr und fragen
nach mir. Ich könnt es jahrelang so (glaub
ich): bloß die welt und meine zeit. Ich kann.
7
Die laute schlagen, singen. Ich enthebe
die straßen parks und gärten deinem traum:
den alten kirchen-hügel, das in-schwebe-
gehalten-werden (weiden, brücken, raum
in dem gedichte wachsen). Über teichen
die türme sehn hinab: ein schmetterling –
zwei Bs die flügel, die papieren gleichen, –
das wasser rieselt: Schlag die laute. Sing.
Und weiter, steinern, stieren die skulpturen.
Und blank und hell kommt abend über B.
Der himmel zieht sich seine wolken an.
Im runden wasser stehen zeit und uhren.
Wird stille. Und abhanden kommt im see,
was eifernd da ist, seinem blöden plan.
9
Ich war vorüber, eh ich dies verhaßte
der-erste-sein begriffen hatte. Gibt
es wirklich niemand sonst? Wie sehr verblasste
ein jedes messen dessen, das man liebt.
Ersehnt, erwählt, erkannt und brodelnd in sich
gelöst: Da ist es fort und war es nie.
Ist das ein stückchen Außen oder bins ich?
So tritt die welt in meinen spiegel (sie
sieht aus wie du, wie ich, wie dieser abend):
Den vollmond gibt es, gelbes straßenlicht.
Dass es das alles gestern noch nicht gab!
Der abend sieht uns an: Ich glaub, ich hab ent-
deckt (sagt er uns), warum ich nie das nicht-
geborenwordensein genossen hab.
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Im durchgang freilich weder taub noch blind –
was soll das heißen? Wohin gehen winde?
Und woher kommen sie? Nur das: sie sind
auf einmal, werfen deine welt um. (Finde
mal eine fahne, die sich nicht entrollt
in ihren langen händen, sanften zwängen …)
Von blätterkronen streuen sie das gold
leichter kometen, die sich selbst versengen.
Du zwang, du sanftester: von deinen händen
geführt fällt aus dem tiefblau meine schrift
(wie etwas, das durch nacht und himmel raste).
So viele zeilen sind es schon. Sie wenden
mich um, wenn sie ein neuer windstoß trifft:
Ich werde nicht mehr sein: das angemaßte.
13
Geht rasch hinab. (Doch grab ist lang nicht grab.)
Geht rasch hinab und lasst mich meinen nächten
und leeren straßen und dem weißen stab
der gürtelsterne auf den letzten echten
wegen nach hause (weizen-wegen, weich-
gezeichnet). Lasst mich diesen dialogen
mit dem, der all das schreiben wird. Wie gleich
bin ich ihm dann, wie gleich sind die geflogen-
heiten der jahre: Jedes führt von dir
zu dir zurück durch feld und furten, schart et-
was weizen-wind um deinen winterwind.
Geht rasch hinab, ich bleibe heute hier –
am gestern-grab, das immer wieder wartet.
Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind.