Von Abend und August
Paulheinz Quack Die Insel VIIAls ich dich fand im weißen Sand der Dünen,
dein Haar war naß und deine Hand noch kalt,
und durch das wilde Meer schrie die Gewalt,
die furchtbar kam, um eure Schuld zu sühnen —:
da sank schon jene Liebe in mich ein,
die dich nun ganz, wie ein Gewand, bedeckt;
ich trug dich fort und habe dich versteckt
und wollte nichts als dies: dein Engel sein.
Und meine Hände flochten deinen Tag,
ich tanzte Märchen dir bis in die Nacht,
und Mond und Sterne hab ich leis entfacht,
eh dann mein Haar auf deinen Füßen lag.
Ein Kreis der Ruhe schloß uns atmend ein,
und ohne jedes Wort: ich war schon dein.
2
Dein haar war nass und deine hand noch kalt
wie tau der täler, sonnen, klein, auf halmen,
wie bergeswolkenmähne, wie um palmen
geschlagner tropensturm: und die gestalt
verriet sich kaum vor deiner reife, eh
du deinen kopf erhobst und deine blüten,
die mittags-glut, darum gewitter wüten,
taghelle nacht, durch die ich mit dir geh.
Von haar und hand hast du die wassertropfen
entlassen und dem nächsten jahr vermacht.
Da sah ich, wie du fahlst und fällst, ganz sacht,
da herbstes früchte an den boden klopfen.
Den brand nahm sich aus deinem haar der wald
und durch das wilde meer schrie die gewalt.
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Die furchtbar kam, um eure schuld zu sühnen,
stieg jetzt vom himmel sintflutwolkenschwarz:
die nacht. An ihren stämmen rinnt das harz
der sternfallspuren. Auf den spiegelbühnen
das schauspiel: masten, wogend vor kulissen
aus samt und horizont. Es öffnet sich
zum letzten mal der segel-vorhang. Ich
lese den untergang aus seinen rissen.
Und immer schneller schwingt das metronom
im wellentakt im salz unter den tritten
des nordwinds, nachtumtanzt: Du warst inmitten
ein sommer-splitter, lichtblitz und arom
von abend und august, ein golden-sein:
da sank schon jene liebe in mich ein.
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Die dich nun ganz, wie ein gewand, bedeckt,
die sonne, weiß sie auch von deinen nächten?
(Denn tag ist spiegelbild.) Den einzig echten
sekunden, küssen – unterm gold versteckt
von straßenlicht und gläsern weizen-weins,
die dich an raue gassen-wände lehnten, –
versenkt in seinen blick, in die ersehnten
lippen getaucht, geschlungen eins um eins?
Denn wenn um dich die wellen schlagen, wiegst du
den takt der küsse nach. Ein tropfen nacht
löst sich in deinen tagen auf und macht
dich fremder. Und an meinen stränden liegst du
wie angeschwemmt und salz- und schaumbedeckt.
Ich trug dich fort und habe dich versteckt.
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Und wollte nichts als dies: dein engel sein.
Wie in den schnee gemalt, aus stein geschlagen,
wie stuck, der sicher wie der große wagen
von oben niedersieht. Wie bin ich klein
vor dir, wie bin ich dunkel unter deinen
zenit gestellt, wie fest in deiner faust.
Ich sehe, wie du segnend niederschaust:
Du bist die abende, die mild-und-meinen.
Aus deinen augen sind die sonnenstrahlen
noch wärmer. Heller wird mein scheit entfacht
aus deinem zunder. Und die mitternacht
um deine pole gnädiger: Sie malen
das dreieck, unter dem ich träumend lag.
Und meine hände flochten deinen tag.
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Ich tanzte märchen dir bis in die nacht
und scheuchte schatten über höhlenwände
als fahle sonne, hoffte noch, ich fände
in dir den spiegel, der mich strahlend macht.
So sah ich schon in deiner streichholz-flamme
den feuerglanz der bergesspitzen, der
hinüberspringt – vom meere bis zum meer –
und nachricht bringt dem tal, aus dem ich stamme.
Doch du (denn niemals löscht dich wind und welle)
bist bald in meinen fingern abgebrannt
das holz hinab. Nichts blieb in meiner hand
als schwarze spur von weiß und schwefelhelle.
Allein bin ich im dunkel aufgewacht
und mond und sterne hab ich leis entfacht.
Zů disem jar hat mir fürwarGeorg Wickram Der Goldtfaden
Von rotem gold ein faden
Als leyd zerstört und gar verkert
Mein trawren unnd mein schmertzen.
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Eh dann mein haar auf deinen füßen lag,
wars nur sekundenschlaf und halbe träume
von stundenlangem fall durch milchglasräume.
So nähtest du dich ein in meinen tag:
Ein faden gold, der in den leinen-lagen,
dem labyrinth die lösung ist – so blickt
die sonne kurz durch wolken-weiß und schickt
dir antwort – aber du vergaßt zu fragen,
bist reine kraft geworden, nordlicht, blitz.
Kein hören mehr und sehen, wo du donnerst,
nur niederfall vor deinem thron (davon erst
erwache ich) und deinem sonnwend-sitz.
Jetzt heißt es: ich planet, du sonne sein.
Ein kreis der ruhe schloss uns atmend ein.
هُنَّ لِبَاسࣱ لَّكُمۡ وَأَنتُمۡ لِبَاسࣱ لَّهُنَّۗKoran 2:187
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Und ohne jedes wort: ich war schon dein
gewand geworden und du meines, beide
durchscheinend-warm wie weiche sonnenseide:
wie fadenhaut schloss ich dich, du mich ein.
Und es war immer sommer, immer gleich
der himmel und der abend, der mit pollen-
und duftes-salven schoss. Die tage rollen
nicht herbsten zu, – sie liegen oben weich
im gipfelgras und träumen fort. Kein winter
lehrt noch was wärme wär, kein kahler ast,
was blatt und blüte wären, kein kontrast,
was dunkel (hell). – Und so vergaß ich hinter
dem sommer-meer das frühjahr und sein grünen,
als ich dich fand im weißen sand der dünen.