Zyklus der Ziffern
Rolf Schilling Zahlen-SonettNull: Schoß, Quell, Urnichts, goldnes Oster-O,
Eins: Flamme, Zepter, Liebespfeil, Narziß,
Zwei: Schwingenpaar, Geweih, Licht, Finsternis,
Drei: Stirn-Aug, Sparren, Gott und Geist-Geloh.
Vier: Jahres-Ring, Kreuz, Raute, reines Dur,
Fünf: Mistel, Zeit-Vernichter: Keil, Fuß, Hand,
Sechs: Stern des Hirten, Wabe, Diamant,
Sieben: Strahlenhaus, das Phaeton befuhr.
Acht: Spinne, Sleipnir, Doppel-Blick der Zeit,
Neun: Krummstab, Schnecke, Blatt vom Asphodill,
Zehn: Blankvers, Spanne Lebens Lethe-her.
Elf: Yin und Yang, Torwächter Speer an Speer,
Zwölf: Mittag, Mittnacht, Schar, dem Gral geweiht,
Im Glanz des Zodiak dein Schild, Achill.
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Null: schoß, quell, urnichts, goldnes oster-O,
mund des vulkans, gewehrlauf, spitzer stift,
goldkrone, ehering, – und irgendwo
dein auge, das die welt von innen trifft.
Dann bricht sie ein, wird tief und höllenkreis,
wird schlinge, kette, fessel, bleiern, dick,
himmel vom brunnengrund. Dann kreist im weiß
dein hohles auge ohne licht und blick.
Dort gleicht dem hell das dunkel, allem nichts,
vollmond und tag der sonnenfinsternis.
Dein auge wirft die welt umher, taifun-
gleich ist die ruhe nur inmitten: Nun
dringt durch die runden tore des gedichts
eins: flamme, zepter, liebespfeil, narziß.
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Zwei: schwingenpaar, geweih, licht, finsternis,
yin-yang, zwei kois im kreis im runden teich,
die erde (zweite in der genesis),
ein leichtes element, der sonne gleich.
Die zeiger stehen deiner neuen zeit
spalier (türpfeiler ist das bajonett).
Wenn sich der eine ast verzweigt, ver-zwei-t,
liest du die neue ziffer aus dem Z.
Jetzt gibt es nord und süd und symmetrie,
die vier ist vorbereitet, reifend, roh
entdämmert dir ein spiegelbild und ihm
schwimmt deines vor, ihr seht euch an, seid – prim.
Schließt eure hände, öffnet, findet die
drei: stirn-aug, sparren, gott und geist-geloh.
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Vier: jahres-ring, kreuz, raute, reines dur.
Die himmel sind vermessen: nun erkenn
darin die zeit und deiner sterne spur.
In deiner hand, gespalten, steht das N.
Heb sie und wasser wogt und erde wankt
und feuer faucht und luft trägt dich empor.
Ein schritt, – du bist am schnittpunkt angelangt,
bist kompass, karte, trittst als X hervor.
Du weißt und weist den weg, zweimal geteilt
liegt unter deinen blicken dieses land.
Und was du siehst, erträumtest du im vers:
Du trägst und prägst das siegel jupiters
der welt auf. Doch von dessen ziffer heilt
fünf: mistel, zeit-vernichter: keil, fuß, hand.
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Sechs: stern des hirten, wabe, diamant,
benzol und perlenwein, ein obelisk-
enheer im meer (zerstörtes brückenband),
vor dunklem wort ein dunkler asterisk.
Die stunde strahlte stern- und blütenklar
allher zurück, – dann deckte sie basalt.
Es zog an dir vorbei ein halbes jahr,
in dem noch ein erinnern wiederhallt:
an glühendes, geheimes schlüssel-spiel,
gebete, die die eingeweihten nur
verstehen, an das gold des glücks-planets.
Das – wurde blei. Und deine trommel drehts
im kreis, bis aus dem letzten würfel fiel:
sieben: strahlenhaus, das phaeton befuhr.
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Acht: spinne, sleipnir, doppel-blick der zeit,
zwei ringe, zur unendlichkeit vermählt.
Der winde kinder wehen weltenweit.
Und du hast, weise, jeden zahn gezählt
und jeden ahn, erklommst den dritten ast
des stammbaums bis zum letzten grauen blatt.
Darüber ist er kahl. Dein finger fasst
nur eingeritzte namen. Spiegelglatt
wird’s weiter oben. Schließlich fängt die nacht
dich ein. Da fällt der erste kreis und still
zieht bald der zweite auf. Und was dich hält
ist ewigkeit. Du stehst wie handbeschellt
(wie glanzgefesselt). – Jähes ende macht
neun: krummstab, schnecke, blatt vom asphodill.
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Zehn: blankvers, spanne lebens lethe-her.
Ein schuss, eins null, da fällt das erste tor.
Ein messer neben runder frucht: Begehr
nach zweiheit brach aus einer ziffer vor.
Die felder sind gefüllt: Das dame-spiel
kennt keinen könig: Siebzehn, acht und neun
erhoben sich, als kopf und krone fiel,
um zehnen in die uhren zu einstreun.
Dann zähl zur zündung nieder und zum start
des triebwerks. Durch die wolken fallen schwer
die worte, graben sich in tafeln ein.
Dann trägst du talwärts dieses paar aus stein,
wo beide hände hebt und deiner harrt
elf: yin und yang, torwächter speer an speer.
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Zwölf: mittag, mittnacht, schar, dem gral geweiht,
dem kreuz geweiht und jenem, der es trug:
Einer für jeden mond, der sich mit zeit
gefüllt, gewandert durch den sternenzug:
Durch widder, stier und himmel-zwillings-paar,
durch hydra-krebs und löwe, junge frau
und waage, skorpion- und schuss-gefahr,
durch steinbock, wasserträger, fische-gau.
Da zählt’ ich mit dem daumen jedes glied
der finger – weicher mörser und pistill –
zwölf stöße, jeder wie ein glockenschlag.
Als sie verhallten, endete mein tag,
erzählte mir auch dieses letzte lied
im glanz des zodiak dein schild, Achill.